Feuer und Flamme für Freiwilligenarbeit

   

 

Der bernische Kirchensonntag steht in einer langen Freiwilligentradition. Der Einbezug der Freiwilligen wird als wichtigstes Ziel des Kirchensonntags genannt und unterstützt somit den reformatorischen Gedanken von der Mitgestaltung und Teilhabe aller.

 

Im UNO-Jahr der Freiwilligen (2001) wurde die Freiwilligenarbeit gar zum Thema des Kirchensonntags gewählt. Dadurch konnten wir uns grundsätzlich mit der Freiwilligenarbeit auseinandersetzen, uns vernetzen, sichtbar machen was bereits geschieht und Kraft schöpfen um Neues anzugehen. Vieles haben Kirchgemeinden in den vergangenen 5 Jahren erreicht: Sie haben den schweizerischen Sozialzeitausweis eingeführt, die Standards der Freiwilligen übernommen, die Freiwilligenarbeit in die Struktur der Kirchgemeinde aufgenommen, Leitbilder zum Thema Freiwilligenarbeit erschaffen, neue Formen von Anerkennung initiiert und so ermöglicht, dass neue Projekte entstehen können. Und der 5. Dezember, als internationaler Tag der Freiwilligen, nimmt in vielen Agenden einen festen Platz ein als Dank und Anerkennung für die Freiwilligen, als sichtbares Zeichen gegen aussen.

 

Ein Feuer muss aber gut genährt werden, wenn es lange brennen soll und die Funken auf möglichst viele kirchennahe und kirchenferne Menschen überspringen sollen. Durch freiwillige Mitarbeit kann Nähe zu Gott, zur Kirche und zu Gemeindemitgliedern erfahrbar werden. Freiwilligenarbeit kann Sinn stiften, Geborgenheit vermitteln und Identifikation ermöglichen. Und sie soll zum Gewinn für alle Beteiligten werden.

 

Mit den nachstehenden Überlegungen möchte ich Sie dazu anregen, das Feuer der Freiwilligenarbeit zu nähren für Sie, die Gemeinde und die Freiwilligen.

 

Freiwilligenarbeit

 

Freiwilligenarbeit ein Gewinn für alle

Wenn das Miteinander von Freiwilligen, Behörden und Angestellten gelingt, gewinnen:

die Kirchgemeinden an Vielfalt, Impulsen und Wissen
die Angestellten engere Kontakte zu engagierten Gemeindemitgliedern sowie interessante Aufgaben
die Gemeindemitglieder zusätzliche Angebote, die es sonst nicht oder nur reduziert geben würde
die Freiwilligen Kontakte, gemeinschaftliches Erleben und neue Erfahrungen

 

Freiwillige sind unverzichtbar

In der Schweiz arbeiteten im Jahre 2005 48% der Bevölkerung freiwillig mit. 23% engagierten sich in der Nachbarschaftshilfe (informelle Freiwilligenarbeit) und 25% in Sportvereinen, Kultur, Umweltverbänden oder in politischen, sozialen und kirchlichen Organisationen (institutionalisierte Freiwilligenarbeit). Auch in den Kirchgemeinden des Kantons Bern wird rund die Hälfte der Arbeit von Freiwilligen ausgeführt. Knapp 25000 Freiwillige arbeiten in den verschiedensten Bereichen mit, davon sind ¾ Frauen und ¼ Männer. Dies entspricht etwa 4% aller reformierten Kirchenmitgliedern. Es gibt Kirchgemeinden mit 4, aber auch solche mit 540 Freiwilligen.

 

Die Kirche will und soll ein Ort sein, an dem Gemeinschaft und Solidarität gepflegt wird, wo Nähe erfolgen kann und wo nicht abgedeckte Bedürfnisse aufgegriffen werden. Freiwilligenarbeit trägt so auf vielfältige Weise zu gesellschaftlicher Innovation bei. Im Miteinander verbinden sich kirchennahe und kirchenferne Menschen.

 

Freiwillige beleben die Kirchgemeinden

Freiwillige ermöglichen Angebote, die ohne ihren Einsatz nicht oder nur teilweise realisiert werden könnten. Sie bereichern das Gemeindeleben und leisten einen wichtigen Beitrag zu einer lebendigen Volkskirche. Die 25000 Freiwilligen ermöglichen Angebote von A wie Altersnachmittage, Basare, Besuchsdienste, Erwachsenenbildungsgruppen, Fahrdienste, Feste, Gemeinschaftszentren, Generationenprojekte, Gottesdienste, Integrationsprojekte, Jugendlager, Kinderhüeti, Kirchensonntage, Mittagstische, Musik, Offene Kirchen, Talentbörsen, bis Z wie Zusammenkünfte.

 

Freiwilligenarbeit ersetzt bezahlte Arbeit nicht

In unserer Landeskirche halten sich unbezahlte und bezahlte Arbeitsstunden die Waage. Freiwilligenarbeit kann und soll bezahlte Arbeit nicht ersetzen, jedoch vielfältig ergänzen. Sie darf auf keinen Fall für Sozialabbau missbraucht werden auch nicht in einer Zeit, in der die öffentlichen Finanzen knapp werden, denn sie ist komplementär zu den grossen Sozialwerken.

 

Freiwilligenarbeit wirkt integrierend

Das solidarische Geben macht Freiwilligenarbeit gerade in der heutigen Zeit so wertvoll und unbezahlbar. Weil sich Menschen aus allen sozialen Schichten, verschiedenen Kulturen und Altersstufen als Gebende und Nehmende begegnen, wirkt Freiwilligenarbeit auch integrierend. Und über Freiwilligenarbeit können oftmals auch kirchenferne Menschen angesprochen werden.

 

Wer sind die Freiwilligen?

Unter Freiwilligenarbeit wird im deutschsprachigen Raum unentgeltliches, aktives zeitliches Engagement für Dritte, im öffentlichen oder halböffentlichen Raum verstanden. Laut der Statistik, die der Bund seit 1997 alle 3 bis 4 Jahre zur Freiwilligenarbeit veröffentlicht, sind Freiwillige, die institutionalisierte Freiwilligenarbeit leisten, hauptsächlich gut gebildete Personen, die in Paarhaushalten mit Kindern leben sowie Berufstätige, Haus- und Familienfrauen im Alter zwischen 40 und 54 Jahren. Der Anteil der Frauen (21%), die eingebettet in Institutionen Freiwilligenarbeit leistet, ist etwas kleiner als derjenige der Männer (30%). Bei der informellen Freiwilligenarbeit, z.B. Nachbarschaftshilfe, ist das Verhältnis umgekehrt. Der Frauenanteil beträgt 29%, der Männeranteil 17%.

 

Im sozialen und kirchlichen Bereich sind überwiegend Frauen freiwillig engagiert. Auch wenn sich viele als verantwortungsbewusste Menschen verstehen, kann man die Freiwilligen nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Es sind Jugendliche und Pensionierte, Berufs- und Familienfrauen, erwerbstätige oder arbeitslose Männer.

 

Freiwillige sind oft engagierte Gemeindemitglieder, aber immer häufiger auch Nicht-Gemeindemitglieder, die sich mit dem jeweiligen Projekt identifizieren. Diese Vielfalt kann zu Konflikten führen, ist aber vor allem eine Chance für lebendige Entwicklungen in den Kirchgemeinden.

 

Was motiviert Freiwillige in der Kirche mitzuarbeiten?

Viele Freiwillige verstehen ihr Engagement als gelebte Solidarität. Freiwilligenarbeit ist soziales oder diakonisches Handeln in Kirche und Gesellschaft auf der Grundlage des Evangeliums. Den Mitmenschen aus freiem Willen zu dienen, gründet aus jüdisch-christlicher Sicht auf der Menschenliebe Gottes. Von dieser Liebe hat Jesus durch sein Leben, durch sein Lehren und Handeln gezeugt.

 

Im Petrusbrief (1. Petr. 4,10) sind wir aufgefordert, einander zu dienen als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat. Martin Luther hat das Bild vom «Priestertum aller Gläubigen» geprägt. Der Einbezug und die Unterstützung beim Mitwirken aller Gemeindemitglieder basiert auf diesem reformatorischen Verständnis und hat im Artikel 143 der Kirchenordnung Einzug gefunden.

 

Die Motive zur Freiwilligenarbeit können jedoch individuell, lebensphasenspezifisch und engagementspezifisch verschieden sein. Nebst den christlichen Motiven werden Pflichtgefühl, Umsetzung von Projekten, politisches Engagement, Sozialkontakte, Erlangen von neuen Kompetenzen oder Spass haben genannt.

 

Gesellschaftlicher Wandel und die Auswirkungen auf die Freiwilligen: «Neue Freiwillige»

Unsere Gesellschaft befindet sich in einem schnellen Wandel (steigender Druck in der Erwerbsarbeit, Einbezug der Frauen ins Berufsleben, Wertewandel) und es ist nicht mehr selbstverständlich, sich freiwillig jahrelang für die gleiche Institution zu engagieren.

 

In der Freiwilligenliteratur wird zwischen traditionellen und neuen Freiwilligen unterschieden. Die Traditionellen handeln eher aus ihrem Pflichtgefühl heraus und sind vor allem mit der älteren Generation in der Kirche vertreten. Die Gruppe der «neuen» Freiwilligen wächst jedoch auch in der Kirche. Dem Nebeneinander von traditionellen und neuen Freiwilligen gilt es doppelt Rechnung zu tragen, da der Motivunterschied oft auch mit der Kirchenferne oder Kirchennähe korreliert. Die Kirche hat sich lange Zeit auf dienende Freiwillige gestützt. Heute gilt es, einen partizipativen Ansatz zu fördern, bei dem Freiwillige mitgestalten können.

 

Was sich Freiwillige wünschen

Freiwillige schätzen klare Verhältnisse mit gut organisierten Aufgaben. Dazu gehört auch, dass die Pflichten der Freiwilligen klar geregelt sind. Denn Freiwilligenarbeit ist nicht unverbindlich. Die neuen Freiwilligen wünschen sich interessante Aufgaben, klare Rahmenbedingungen, Mitspracherecht, Unterstützung für eigene Ideen, gute Begleitung sowie kürzere Einsatzzeiten und der Einsatz soll auch Spass machen dürfen. Auch wer sich freiwillig engagiert, will ernst genommen und respektiert werden. Und der Einsatz soll wahrgenommen, geschätzt und verdankt werden.

 

Freiwillige gewinnen mit Feuer und Flamme

Entgegen der oft geäusserten Meinung, dass sich immer weniger Menschen freiwillig engagieren wollen, hat eine Befragung des Link Institutes ergeben, dass es ein beachtliches Potential an Menschen gibt, die bereit wären, freiwillig tätig zu werden. Gelingt es uns, unsere Kirchgemeinden als attraktive Anbieterinnen von Freiwilligeneinsätzen zu positionieren, könnte unser Feuer auf diese Menschen überspringen. Und vielleicht ist gerade ein einmaliger Einsatz am Kirchensonntag ein gelungener Einstieg in die Freiwilligenarbeit.

Ines Walter Grimm

 

Wenn Sie sich für weitere Informationen zur Freiwilligenarbeit interessieren: www.refbejuso.ch/freiwilligenarbeit