«Gott ist bei uns ganz gewiss an jedem neuen Tag»

   

 

Eine Zeile aus dem Gedicht von Dietrich Bonhoeffer, das er einige Monate vor seinem Tode im Gefängnis verfasst hat. 1945 wurde er in Berlin hingerichtet, weil er sich am Widerstand gegen Hitler beteiligt hatte. In seinen Tagebuchaufzeichnungen und Briefen aus dem Gefängnis finden sich tief berührende Zeugnisse seines Nachdenkens über Gott. Bonhoeffer dachte darüber nach, wie von Gott in der von ihm erlebten Zeit menschlichen Götzenkults geredet werden könne. Wie Gott erfahrbar sei in einer Welt, die mit ihm nichts zu tun haben wollte.

 

Und in diesem Nachlass veröffentlicht unter dem Namen «Widerstand und Ergebung» entdecken wir das so tröstliche und schöne Gedicht «Von guten Mächten wunderbar geborgen», das inzwischen in den Glaubensschatz der Kirche Einzug gehalten hat (vgl. Evangelisch-reformiertes Gesangbuch, RG 550).

 

Wer das Buch «Widerstand und Ergebung» liest und bei diesem Gedicht angelangt ist, wird das Buch für eine Zeit lang beiseite legen und dem Reichtum des Gedichtes nachspüren wollen. Es erzählt von der Nähe Gottes zu uns Menschen, vom diesseitigen Gott also. Ein Gedanke, der das ganze Buch prägt. Gott ist im Diesseits erfahrbar oder gar nicht. Gott ist bei uns oder gar nicht aber, und das macht den Glauben Bonhoeffers so dialektisch und tief, er ist auch fern. Er zeigt sich nicht. Auch und gerade im Gefängnis gelte es zu leben, als ob es keinen Gott gebe. Weil er sich allen Erwartungen entzieht: er greift nicht so ein in das Geschehen in Deutschland, wie viele es sich erhofft hätten. Es ist der ferne Gott, der gleichzeitig so nahe ist. «Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?» Dieses Jesuswort, am Kreuz gesprochen, ist für Dietrich Bonhoeffer das Zentrum seiner Theologie. Gott: nah und fern zugleich. Der Gott, zu dem er betet, dessen er sich gewiss ist, ist der Gott, der sich nicht zeigt.

 

Und diese schweren Gedanken finden nun Eingang in ein Gedicht und gewinnen an Leichtigkeit. Dergestalt, dass man bei der dritten Strophe bereits (aus- und inwendig) mitsprechen kann. Der Rhythmus des Textes trägt beim Lesen und Sprechen und lässt uns am Glauben Dietrich Bonhoeffers teilhaben. Wir formulieren mit ihm die Spannung von Nähe und Ferne Gottes und bestätigen im Refrain die Zuversicht, dass wir uns auf Gott verlassen können.

 

Vertonung des Gedichtes «Von guten Mächten wunderbar geborgen»

Die Strophen des Gedichtes haben bald einmal die Musiker gelockt, Töne dazu zu finden. Siegfried Fietz war einer der ersten, der den Worten eine Melodie unterlegte. Sie klang etwas süss oder betulich und liess den Kampf Bonhoeffers zwischen den Zeilen nicht ahnen. Im Kirchengesangbuch (RG 353) findet sich daher ein neuer Versuch: für die singende Gemeinde, der ältere und jüngere Mitglieder zugehören durchaus geeignet.

 

Offensichtlich hat das Gedicht soviel Potential und Aussage, dass sich Musiker immer wieder gerne damit beschäftigen. Zur Vorbereitung des Kirchensonntags «Kirche in der Nähe» möchte ich auf eine neue Vertonung von René Schärer hinweisen. Er ist Pfarrvikar und Musiker und absolvierte seine Ausbildung an der «Academy of Contemporary Music». Der Sound von Schärer wird in erster Linie Jugendliche ansprechen,da er stark auf den Rhythmus Wert legt.

 

Zu seiner Komposition sagt René Schärer:

«Die Aufgabe, Bonhoeffers Gedicht jugendgerecht zu vertonen, hat mich gleichzeitig begeistert und unsicher gemacht. Begeistert ob der Ehre, dieses grossartige Gedicht musikalisch umsetzen zu dürfen. Unsicher, weil ich spürte, dass es eine Gratwanderung werden würde zwischen der Situation, in der das Gedicht entstanden ist, und der Erfahrung eines starken und tiefen Vertrauens, welches im Text zum Ausdruck kommt. Stürzt man bei der musikalischen Umsetzung auf die eine Seite ab, wird das Lied zu schwer und läuft Gefahr, nur die Situation von Bonhoeffers Gefangenschaft hervorzuheben.Ist das Lied zu leicht und zu fröhlich, geht der historische Kontext im musikalischen Ausdruck verloren.
Mit einer besinnlich-melancholischen, aber nicht erdrückenden Melodie versuchte ich die Erinnerung an den historischen Kontext zu wahren. Die Erfahrung von Hoffnung und Getragensein kommt besonders im Refrain zum Ausdruck, der mit einem groovigen Rhythmus gespielt wird. Denn der Rhythmus ist dasjenige Element, das in der modernen Musik jene Kraft ausmacht, von der man durch ein Stück hindurch getragen wird.»

 

Von Dietrich Bonhoeffer wissen wir, dass er in New York begeistert an Gottesdiensten in Harlem teilgenommen hat. Dort war es ihm ein Leichtes, in den Gesängen der «Neger, das Evangelium gepredigt zu hören». Bonhoeffer fühlte sich wohl bei denen, die Gottes Nähe besingen: in der Kirche.

Andreas Hohn-Zogg