Wasser als Symbol der Diakonie

   

 

Dieser Artikel ist original in französisch geschrieben und erscheint unter dem Titel «Pour une église de proximité: leau comme symbole de la diaconie» in der französischen Broschüre zum Kirchensonntag «lEglise au coeur de la vie» (Centre de Sornetan). Die folgenden Gedanken sind dem Werk «Princesse des marges. Vers une féminisation de lEglise» von Christianne Méroz (Grandchamp) entnommen, in «Histoire et herméneutique», 2002, S. 269 ff. und insb. S. 275278).

 

Warum dieser Bezug zwischen einer volksnahen Kirche und dem Wasser? Auf den ersten Blick scheint diese Verbindung merkwürdig zu sein! Wasser ist jedoch für jegliches Leben auf dieser Welt notwendig. Manchmal mangelt es an Wasser, manchmal gibt es Wasser im Überfluss. In beiden Fällen ist Wasser ein wichtiges Thema. Vielleicht kann man Wasser nur vergessen, wenn es in der richtigen Menge vorhanden und fester Bestandteil des normalen Alltags ist.

 

 

Welchen Stellenwert hat Wasser in der Bibel?

 

Nicht selten liest man von einem Brunnen mit Wasser, der zu einem Ort wird, an dem das Leben blüht, zirkuliert und geteilt wird. Ein privilegierter Ort des Austausches, der Freude, aber auch des Verstehens und der Offenbarung, wie aus dem hebräischen Wort für Brunnen «beer» zu ersehen ist, das auch «Verständnis» und «Erklärung » bedeutet. Man begegnet Isaaks künftiger Frau, Rebekka, an einem Brunnen. Ebenfalls an einem Brunnen trifft Jakob auf Rachel, oder nimmt Moses die Hirtinnen, von denen eine seine Frau werden wird, in Schutz. Und schliesslich wird dank Gott bitteres Wasser zu süssem Wasser (Ex. 15,22 ff.).

 

Im Neuen Testament, und insbesondere im Johannes-Evangelium, stellen mehrere Texte einen Bezug zum Wasser her. Zuerst an der Hochzeit zu Kana, als kein Wein mehr da ist. Es ist erstaunlich festzustellen, dass das erste in den Evangelien erwähnte Wunder von Jesus zur Freude einer Hochzeitsgesellschaft geschieht, damit die Festlichkeiten perfekt sein können. Das kommende Reich stört sich nicht am Fehlen von Mitteln. All dieses in Wein gewandelte Wasser bedeutet Fest, Freude, Ausgelassenheit, Hülle und Fülle. Mit anderen Worten: Wasser, das niemand vergessen wird.

 

Als Jesus der Samariterin am Brunnen begegnet, hat er Durst. Gott dürstet nach der Begegnung mit dem Menschen. Die Samariterin hingegen dürstet nach Respekt, Anerkennung, Aufmerksamkeit, Freundschaft, Gerechtigkeit Jeder braucht denanderen, und genau bei diesem gegenseitigen Bedürfnis, beim Teilen grundlegender existenzieller Gegebenheiten kommt es zu einem Perspektivenwechsel, der es der Samariterin erlaubt, ihren Krug hinzustellen und dem ganzen Dorf die Ankunft des Messias zu verkünden sie, die bestimmt zur Mittagszeit an den Brunnen gekommen war, um niemandem zu begegnen. Der gestillte Durst einer Frau, der es ihr erlaubt, sich in der wieder gefundenen Würde aufzurichten und die Botschaft der guten Nachricht hinauszutragen.

 

Auch Jesus am Kreuz dürstet ein letztes Mal vor seinem Tod, vielleicht wie ein letzter Blick auf sein Leben als Mensch unter Menschen. Doch man reicht ihm nur Essig, aus seiner Seitenwunde fliessen Blut und Wasser es ist das Ende seines Lebens als Mensch.

 

Die Tränen Maria Magdalenas am leeren Grab zeigen ihre unendliche Liebe für den gekreuzigten Messias und hindern sie daran, den Mann zu erkennen, der zu ihr spricht. Es ist manchmal notwendig, durch eine Zeit des Kummers, des Schmerzes, der Trauer und der Tränen zu gehen, um sich der spirituellen Realität der Auferstehung öffnen und den Ruf von Jesus Christus hören zu können.

 

Wasser

 

Diakonie wohltuend wie Wasser?

Das Wasser, der Wein, das Blut, der Essig, die Tränen: Alle starken Momente, die Jesus und seine damaligen und späteren Jüngerinnen und Jünger durchleben, werdenimmer vom flüssigen Element begleitet. Wasser und Flüssigkeit stehen für Lebendigkeit, Beweglichkeit, Bewegung, für etwas, das überlaufen, sich ausbreiten, sich verändern, aber auch eine Form annehmen und sich somit anpassen kann. Waschen, Baden, Heilen, Segnen all dies geschieht mit Wasser. Wasser bahnt sich immer seinen Weg, es dringt überall ein, bis hin zu den vergessenen Winkeln einer schmerzlichen Situation in den verborgenen Tiefen der dunkelsten Dunkelheit. Wasser schafft Verbindungen, Wasser schafft aber auch Räume und Distanzen. Das flüssige Element symbolisiert die Weiblichkeit und bedeutet Grosszügigkeit, Gefühlsreichtum und Lebensfreude.

 

Auch die Diakonie kann so betrachtet werden: ein Zusammenspiel von Aktionen, Begegnungen, sinnstiftenden Beziehungen und im tiefsten Sinn des Evangeliums von Liebe. Die Diakonie ist das «weibliche» Antlitz Gottes, was jedoch nicht bedeutet, dass Männer von diesem Amt ausgeschlossen sind. Mit den Augen der Diakonie sieht Gott voller Mitgefühl die Situationen materieller, sozialer oder spiritueller Not. Es sind immer dieselben und doch immer wieder neue Situationen, die in unseren Gemeinden entstehen.

 

Um die Entwicklung dieser Situationen weiterverfolgen zu können, muss die Diakonie zurück zur Quelle gehen, das heisst zurück bis zur jüdischen Tradition, zur Tradition von Jesus. Und da in der Schrift Wasser oft mit dem Geist in Verbindung gebracht wird und dieser Geist auch störend sein kann, ist die Diakonie gezwungen, sich ständig zu verändern, flexibler und beweglicher zu werden, in Einklang mit den Situationen zu kommen, die sie erkennen muss.

 

Diese Sensibilität bedeutet aber nicht Schwäche. Die Diakonie muss auch stark sein, um eine gewisse Distanz zu schaffen, die es erlaubt, Lebensereignisse zu deuten und einen Neubeginn in der Radikalität des Evangeliums anzugehen. Der Weg der Befreiung und der Stärkung ist manchmal hart und steinig. Betrachtet man die Frauen in der Bibel, sieht man sie als starke, mutige Frauen mit einer nach vorne

gerichteten Vision als Frauen, die es wagen, Tabus zu brechen, sich bei einschneidenden Geschehnissen zu behaupten, an der Grenze zwischen unterschiedlichen und sogar einander feindlich gesinnten Gemeinschaften zu leben, ohne jedoch darauf zu verzichten, ständig neue Verbindungen herzustellen, als Frauen, die unablässig versuchen, das Leben wieder anzukurbeln.

 

Für eine Diakonie der Nähe

Das Zeitalter der Globalisierung zwingt uns eine raschere und Schwindel erregende Durchmischung der Bevölkerungsgruppen, der Kulturen und der Religionen auf. Die Wirtschaftskrise führt in Lebenssituationen, die hoffnungslos erscheinen können.

 

Die Kirche ihrerseits ist mit den sich leerenden Kassen konfrontiert. Wie kann sie unter solchen Umständen im Überfluss handeln, Feste ausrichten, sich der Vergessenen erinnern, die nach wie vor verborgene Not aufdecken, den Wein teilen?

 

Gegenwärtig zeichnen sich mehrere Lösungswege ab. Partnerschaften mit weltlichen Institutionen können sich als sehr fruchtbar erweisen. Ein gutes Beispiel ist der Familienpass. Es handelt sich dabei um ein in der Region Basel von den Kirchen in Partnerschaft mit zahlreichen Einrichtungen geschaffenes Angebot, mit dem Familien von Vorteilen und Ermässigungen in den Bereichen Kultur, Sport und Freizeit profitieren können. Für Familien mit kleinem Budget gibt es den speziellen FamilienpassPlus, der zusätzliche Vorteile und Vergünstigungen bietet. Dank desuniversellen Charakters dieses Passes fühlen sich Familien aus bescheidenen Verhältnissen nicht stigmatisiert und können das Angebot voll und ganz nutzen. Sie nehmen so automatisch am sozialen, kulturellen und sportlichen Leben ihrer Umgebung teil.

 

Man könnte sich auch eine Kirche vorstellen, die denjenigen Menschen, die von der Arbeitswelt ausgeschlossen sind, eine Aufgabe zuweist. Wie kann die Arbeit in der Kirche organisiert werden, um diesen Menschen nicht nur eine Aufgabe, sondern auch das Gefühl zu geben, dass sie gebraucht werden? Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, um grundlegend über die Strukturen der Kirche nachzudenken, damit diesen Menschen eine vollständige Teilnahme am Leben in der Kirchgemeinde gewährt werden kann. Gott dürstet nach der Begegnung mit Menschen. Lasst uns nach Begegnungen mit den Ausgeschlossenen dürsten!

Anne Walder Pfyffer